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Argonaut. Ikarus. Gordischer Knoten.
Ein Portrait des Malers Hans-Hendrik Grimmling
Von Doris Liebermann
„Jeder Künstler ist
ein Argonaut, der mit seiner Kunst in Imaginationen auszieht, um etwas
heimzuholen“, sagt der Maler.
Ein großer sonnendurchfluteter Raum. Von zwei Seiten fällt
das Licht durch große Fenster. Überall große und
kleine
„Grimmlinge“. Den Blick fesseln drei Bilder an der Wand. Gelb, Blau,
Weiß
und Schwarz. Wie Skulpturen treten die Motive dem Betrachter entgegen:
Segel, Flügel, Wellen, Schiffsrümpfe, Arme, die ein Segel
umklammern.
Sperrige Formen. Vielleicht sind es im Meer Verlorene, in ihrer
Sehnsucht
Verlorene, im Aufbruch Gescheiterte. Es ist schwer zu sagen, ob
Untergang
oder Rettung gemeint ist, im Spiel der Kräfte ist beides
möglich.
Oder ist das eine Segel eine angedeutete Vagina? Das ewig Weibliche,
das
den Argonauten zum Aufbruch in unsichere Gefilde lockt? Auch diese
Interpretation
läßt das Bild zu. Es ist ein Triptychon aus dem
Argonauten-Zyklus,
an dem Grimmling arbeitet. „Der
Künstler ist auch ein Ikarus und
ein Gordischer Knoten“,
ergänzt er, womit er die drei wichtigsten
Stationen seiner eigenen künstlerischen Existenz umschrieben hat.
Das Sächsische hat ihn auch nach bald zwanzig Jahren Berlin nicht
verlassen. Sein Atelier befindet sich in einem großen Fabrikhof
im Wedding, einem von vielen Türken bewohnten Stadtviertel:
zweiter
Hof, dritter Aufgang, zweiter Stock. Gegenüber, auf der gleichen
Etage, ist der Eingang zu einer Moschee.
Grimmlings Bildsprache
ist von der Landschaft seiner Kindheit geprägt. 1947 in Zwenkau
bei Leipzig geboren, wächst er im sächsischen
Braunkohlerevier auf. Endlose Kohlengruben verschlingen Dörfer,
Felder und Wälder. Die Gruben sind so groß, daß sie am
Horizont mit dem Himmel verschmelzen. Die Strukturen der freigelegten
Erdschichten und ihre ornamentale Rhythmik prägen Grimmlings
visuelles Gedächtnis. Verwirrte, heimatlos gewordene
Feldmäuse lassen sich in dieser zerstörten Landschaft mit der
bloßen Hand greifen. In der Weißen Elster, dem Fluß
der Kindheit, in dem er schwimmen lernt, treibt
schwarzer Schaum. Aus frühen Kindheitserinnerungen her stammt das
intensive, tiefe Schwarz auf Zyklen wie „nachtmahl“, „feuerspucker“,
„schwarze
egge“. Es ist eine späte Reflexion auf das allmähliche
Verschwinden
von Grün, das Verschwinden seiner Kindheitswälder und
-wiesen.
Daß das Grün auch aus seinen Bildern verschwunden ist, wird
ihm
erst heute richtig bewusst. Auf seinen frühen Landschaftsbildern
war
es immer schon mit einem grauen Ton gemischt. Es war das Grün der
Bäume
und Wälder, die das Sterben in sich trugen.
Weil der Vater
die Familie verlassen hat, wächst Grimmling mit seinen beiden
Schwestern in einem Kinderheim auf. Am Wochenende sind die Geschwister
bei der Mutter. Er boxt, spielt Fußball, sieht gerne russische
Partisanenfilme. Er versucht sich mit kleinen Gedichten, kopiert Motive
von Franz Marc, malt Aquarelle. Er ist vierzehn Jahre alt, als er das
erste
eigene Atelier mietet. Ein Zufall. Seine Mutter, Gemeindeschwester im
Ort, hört von einem Sofa, das zu verschenken ist. In der
kleinen Wohnung
ist kein Platz dafür. Ein Freund weiß von einer alten,
leerstehenden
Drogerie, in der man es unterstellen könnte. Sie liegt an der
Pegauer
Straße, von der es heißt, daß sie die längste
und
älteste Handelsstraße Europas ist, die Leipzig mit Rom
verbindet. „Dieses Atelier war
eine Werkstatt, das Fremde zu suchen
und zu finden, und so ist es noch heute“, sagt der Maler. „Es war
ein erstes Gefühl von Selbständigkeit, vielleicht sogar von
Freiheit.“
Leipzig ist seine erste
Großstadt: Es wird der Ort erster Emanzipation und ersten
Scheiterns.
Von Zwenkau aus
fährt man mit dem O-Bus die fünfzehn Kilometer dorthin. In
der Messestadt gibt es Straßenbahnen, Cafés,
verwirrende Schaufenster, große, verlockende Geschäfte,
Frauen
in Stöckelschuhen. In Leipzig besucht er einen Zeichenkurs im
„Klubhaus
der Freundschaft“. Er malt Stillleben, portraitiert alte Frauen,
zeichnet
Akte. In Leipzig geht er zum ersten Mal in ein Theater, er ist von
Künstlern,
Malern, Schauspielern tief beeindruckt. In dieser Stadt deutet sich das
„Verhängnis Kunst“ an - und von diesem nicht mehr lassen zu
können.
„unter der heftigen anspannung zwischen
hoffnung und hoffnungs-
losigkeit suche ich seit früher kindheit mittel, davon zu
reden.
am möglichsten schienen mir malerei und zeichnung.
meine bilder registrieren meine mitteilungen – und sie reflektieren
verständnislosigkeit über die stufen nötiger
veränderungen, bis …“,
schreibt er Jahre
später, als er schon in West-Berlin lebt, in einem Text.
„die äußeren
veränderungen kennzeichnen meine wanderung vom
kleineren zum nächstgrößeren ort – vom dorf der
kindheit in die
kleinstadt, von der kleinstadt in die großstadt, von der
großstadt in
die metropole.
jede neue station bedeutete die verschleppung von beziehungen als
bloße hinterlassenschaft.
die inneren veränderungen parallelisieren die äußeren,
in chronolo-
gischer folge der zwangsläufigkeit von kindheitsmustern.“
Seine Bewerbung an der
Hochschule für Graphik und Buchkunst in Leipzig bleibt nach Abitur
und Armeedienst zunächst erfolglos. Er schlägt sich als
Transportarbeiter, Bühnenarbeiter, Bühnenbildassistent durch.
1969 wird er an der Hochschule für Bildende Künste Dresden
aufgenommen, ein Jahr später wechselt er in die Messestadt.
Er ist 23 Jahre alt, er
hat schon Familie. Auf der Messe können Kunststudenten gut Geld
verdienen, auch das spricht für den Umzug. Vor allem aber gilt die
„Leipziger Schule“ als Aushängeschild für eine
liberalisierte, sozialistische DDR-Kunst. An der Leipziger
Kunsthochschule lehren Werner Tübke, Wolfgang Mattheuer und
Bernhard Heisig, die Ateliers und Werkstätten sind
großzügig ausgestattet. An der Leipziger Hochschule werden
Handschriften gewagt, die das Diktat des sozialistischen Realismus zu
unterlaufen scheinen.
Seit der Bitterfelder
Konferenz Ende 1959 sind die Künstler auf den Klassenkampf
eingeschworen. Sie sollen in die Fabriken gehen, die
Werktätigen bei der Arbeit darstellen und sie so beim Aufbau des
Sozialismus unterstützen. Im Mittelpunkt des künstlerischen
Schaffens steht der Mensch – der „sozialistische Mensch“. Obwohl
die dogmatische Phase zu dieser Zeit bereits abgeklungen ist, werden
auch
an der Leipziger Kunsthochschule Baustellen, Arbeiterhelden und
fröhliche
Armeebilder produziert. Grimmling aber malt Selbstportraits, Akte,
arbeitet
an graphischen Zyklen und bedrückenden Vogel-Allegorien, die
manchmal
wie mittelalterliche Folterszenen wirken. Die Motive haben wenig mit
realsozialistischer
Schönfärbung der DDR zu tun. „Der Vogel war die erste Figuration,
die die menschliche Figur ersetzt hat. Damals waren es noch sehr
realistische Vögel, die ich zusammenhockend auf einer Leine gemalt
habe“, sagt der Maler. „Aber der Vogel war schon eine
politische Metapher für mich.“ Seine Vorbilder sind die
Expressionisten, Karl Hofer und Max Beckmann. Über die formalen
Auseinandersetzungen
mit den Vaterfiguren, den Lehrern an der Hochschule, formiert
sich sein Widerspruch. Anders zu malen heißt in der Folge: anders
zu denken.
In der
altehrwürdigen, aber grauen und verfallenden
Universitätsstadt Leipzig etabliert sich auch eine alternative
Szene, die von Absolventen der Kunsthochschule mitgeprägt
ist, die gegen Bevormundung und sozialistische Enge rebellieren.
Grimmling gehört dazu.
Es werden rauschende
Faschingsfeste gefeiert, an den Stipendientagen Stockwettkämpfe
ausgetragen, im „Schwalbennest“ reichlich Bier für 40 Pfennig
getrunken. Aber es reicht den Künstlern nicht, nur Spaß zu
haben und lustig zu sein, sie führen hitzige Debatten über
die Freiheit der Kunst und suchen Wege, diese Polemik in die
Öffentlichkeit zu tragen.
Es ist fast ein Sport,
auf der Buchmesse die Bücher westlicher Verlage zu stehlen. Sie
werden unter der Hand weitergereicht. Auch teure Kunstbände, etwa
eines Francis Bacon, sind dabei. Grimmling verschlingt die
Gespräche von David Sylvester mit Francis Bacon, hat Sehnsucht
nach den Realisten der Londoner Schule, ist süchtig nach anderen
Formsprachen, gierig nach Informationen von draußen. Er
illustriert den russischen symbolistischen Dichter Alexander Blok und
fertigt Holzschnitte auf die 68er
Studentenrevolte in Frankreich. Er liest Peter Weiss, Solshenizyn,
Babel,
Bulgakow, Faulkner, Peter Hille. Im kleinen Leipziger Studiokino
„Casino“
sieht er die subversiv wirkenden Filme von Zanussi,
Mészáros, Menzel, Wajda, Andrej Tarkowskij. Die
Ästhetik und Metaphorik dieser Filme – etwa von Tarkowskijs
„Stalker“ - korrespondiert mit den Ikonographien seiner Bilder.
Im vierten Studienjahr
entsteht das religiös anmutende Triptychon „im namen der
geheiligten mittel“. In schwarzen Grubenlöchern knien Menschen mit
brennenden Kerzen. Sie haben schwarze Flügel an ihren
Körpern. Auf den Seitenteilen sind die gleichen Figuren
dargestellt, ohne Flügel. Links verteilen sie Messer
untereinander, rechts stechen sie auf einen an einen Bretterzaun
genagelten roten Menschenleib ein. Als Grimmling erklären soll,
was er mit diesem Triptychon meint, antwortet er: „gesellschaftliche
Zustände“.
Weil seinen
Bildern eine „völlig fremde Phantasie“ anhafte und
wegen „fehlenden Bezugs zur Arbeiterklasse“ wird ihm im
Diplomjahr die Exmatrikulation angedroht. Später heißt der
Vorwurf: „Einfluss imperialistischer Dekadenz“. Grimmling
bekommt die Auflage, im Obertagebereich der Grube
Espenhain zwei Brigadiere zu portraitieren, wenn er sein Studium
abschließen will. Es ist Winter, als er jeden Morgen in die Grube
fährt. Die mit weißem Schnee bedeckte schwarze
Grubenlandschaft wirkt weit und surreal, er empfindet trotz der
Tristesse Poesie, Ferne und Fernweh. Mit den Arbeitern kommt er gut
zurecht. Einen malt er mit rotem Kopf und aufgeplatzten roten
Händen, den anderen sitzend, vor Müdigkeit einschlafend.
Keine
Helden der sozialistischen Arbeit. Als Prüfungsarbeiten reicht er
das
Tafelbild „Mord an der Muse“ ein, das dem ermordeten
chilenischen Sänger
Victor Jara gewidmet ist, und die Graphikmappe
„Wolkenbrücke“ mit Lithographien zu eigenen Versen.
Die Arbeiterportraits bestimmten das
Prüfungsergebnis: „Sehr gut“. Zusätzlich
bekommt er eine Geldprämie.
Ab 1974 ist er,
drei Jahre lang, Meisterschüler bei Gerhard Kettner, dem
Rektor der Hochschule für Bildende Künste Dresden. Er
fühlt sich zwischen Lob und Strafe, Zuckerbrot und
Peitsche, hin- und hergerissen. Er ist involviert ins Dulden,
Erdulden. Die schwarzen Flügler sind auch eine Metapher für
das Ausbrechen-, Flüchtenwollen aus einer Blindheit heraus. Die
gestutzten Flügel aber machen ein Entkommen unmöglich. Sein
Triptychon „die umerziehung der vögel“ (1978),
beschreibt die Gewalttätigkeit von Erziehungsmustern in
traumatisierten Figuren, die durch die Anmaßung, fliegen zu
wollen, zu Stürzenden werden. In der DDR-Presse wird das Bild
diffamiert, das Provokante hat
seine Wirkung. Grimmling lässt sich nicht beirren: Er malt
Menschen
mit schwarzen Flügeln, schwarze Vögel, die abstürzen,
Körperteile, die ineinander verknotet sind. Es entstehen ikarische
Zyklen und Assoziationen auf Olivier Messiaens „Les
oiseaux“- Kompositionen. Er hat Ausstellungen mit - noch -
figurativen Bildern, die im Laufe der Zeit rhythmisch inszenierten
abstrakten Symbolen und Zeichen weichen. Die Figurationen sind die des
Gestürzten, des Eingesperrten, des Gequälten, des
Gestolperten,
nie Figurationen des Idylls oder des Siegers. Es entstehen Mauerbilder
voll
eruptiver Energie und wütender Vitalität. In intensivem Rot,
in
„fanfarischem Rot“, wie der Maler es nennt, im Rot der
Arbeiterklasse, stellt
er Gemarterte dar, denen die Haut vom Leib gerissen scheint. Eines
seiner
wichtigsten Mauer-Triptychen trägt den Titel „der
ruderer“ (1978).
Das Mittelteil zeigt einen blutroten Mann, der rudernd die Mauer
durchbricht
und mit seiner Kraft den Bildrand zu sprengen scheint: Doch der
Bildrahmen
beengt die Figur wie die Lebensumstände den Menschen. Die beiden
Seitenteile stellen weiße Betonstücke dar, Mauersegmente,
auf denen rote,
geschundene Menschenleiber liegen. „Damals, als die Mauer-Bilder entstanden,
war es eine Attacke der eigenen Gegenwart. Aber es war auch gemeint,
daß auf der Mauer rote, fleischgewordene Figuren liegen, die in
ihrer Kreatürlichkeit nie behend sein könnten. Nicht nur,
weil sie schon Opfer sind, als
Mauerläufer zum Opfer werden: Sie sind schon vorher zum
Mauerspringer
verdammt. Meine Figuren sollten beschreiben, daß es eine
Zwangsläufigkeit
im Sein, in der mentalen Verstrickung gibt“, sagt Grimmling. „Mit
meiner Beschreibung der Stürzenden mit schwarzen Flügeln war
nicht
immer nur die DDR gemeint. Ich glaube nur den Menschen zu
begreifen,
der stürzt. Ich habe noch nie den begriffen, der aufsteigt und
fliegt.“
Die Beschreibung des
Wegwollens und Stürzens der Flügelmenschen reicht dem Maler
nicht mehr. Er formuliert die Metapher kürzer: Die Behinderung
beginnt mit der ersten Begegnung zweier Menschen. Seine
Flügelmenschen sind nun verstrickt in einem Knäuel. Es
entstehen Kompositionen mit Leibern, Armen und Beinen, die ineinander
verknotet sind und niemandem
zu gehören scheinen. Die Menschenknäuel sind die
Überleitung zum „Gordischen Knoten“, der neben dem
„Vogel-Menschen“ eine zentrale Metapher seines Werkes wird.
„ich inszeniere im kopf mit
formen – immer mit körperteilen … immer
vom mensch … ich baue eine dramaturgie mit armen und beinen …
aber ich will immer eine handlung verhindern
ich habe den glauben, viel inszenierbaren stoff mit mir herumzuschleppen
ich kann nicht sagen, wie sehr meine augen nach draußen
mitarbeiten
… gesehenes kann ich nicht bewusst umsetzen
das ist ein konflikt zwischen draußen und mir -“…,
heißt es
später in einem Text.
Eines der bekanntesten
Tafel-Bilder dieser Zeit trägt den Titel „schuld der mitte“, die
Neue Nationalgalerie Berlin zeigte es 2004 in
der großen „Kunst in der DDR“Ausstellung.
Zu DDR-Zeiten kaufte
das Lindenau-Museum Altenburg diese Arbeit auf. Verdienst dieses
Museums ist es, daß das Bild damals nicht im Keller verschwand,
wie es anderen Arbeiten des Malers erging. „schuld der mitte“ ist voll
verwirrender Energien: ein verletztes weißes Bein, Hände,
Füße, Flügel, Köpfe. In der Mitte die
ausgestreckte rote Hand eines deformierten Vogelmenschen, fragend,
fordernd – keine andere Hand reagiert auf sie.
„Das Gipsbein, der Stürzende, die
Faust, die Hand sind in ihrer aus dem Bild wollenden Kraft gleich. Im
Stürzen wie im Kampf, in der Trauer, in der eigenen Gebrochenheit
wie im ungelenken Optimismus. Alles hat gleiche Energie, aber keine
Wurzel, keinen Kern, keine Mitte“,
sagt der Künstler. „Ob
sozialistische Hermetik oder kapitalistische Offenheit, es fehlt uns
eine Bezugsmitte. Es ist die ‚Schuld der Mitte‛, wenn sie nicht da ist.“
1981 und 1982 werden
zwei bereits aufgebaute Ausstellungen, die er
gemeinsam mit dem befreundeten Maler Olaf Wegewitz in Halle und
Merseburg
haben soll, auf Weisung von SED-Bürokraten geschlossen. In
Merseburg
lautet der Vorwurf: Pornographie. Anstoß erregt bei den
Funktionären
ein Bild Grimmlings, das einen verkrampften, fliegenden, kopflosen,
nackten
Männerkörper mit erigiertem Penis zeigt. Der Dauerkonflikt
mit
der kleingeistigen Zensur zermürbt den Maler. Seine Befindlichkeit
gleicht zu dieser Zeit der Holperfahrt auf einem klapprigen Karussell,
inmitten des tristen Rummels DDR.
Denn es ist nicht so
einfach, als freier Künstler im Staat der Werktätigen zu
leben. Wenn man nicht Mitglied im Verband Bildender Künstler ist,
wird man als „arbeitsscheues Element“ angesehen und hat
quasi Asozialen-Status. Erst als Verbandsmitglied bekommt man eine
Steuernummer:
nur diese legitimiert den Künstler dazu, frei zu arbeiten. In
diese
Strukturen eingebettet zu sein, bedeutet Kontrolle, aber auch soziale
Absicherung.
Für einen Künstler mit aufbegehrendem Temperament und
intellektueller
Unruhe wie Grimmling aber sind es Gefängnisse, Drangsalierungen,
Stumpfheiten, Abstumpfungen.
„der eingeimpften
integrationsbereitschaft entwuchsen verweigerungs-
wille, ein artikulationsbedürfnis gegen ein adoptivverhältnis
der
gesellschaft zum einzelnen.
zusammen scheinen diese veränderungen proben zu sein auf die
dehnbarkeit von bindungen, experimente auf die strapazierbarkeit des
sich-entfernens … als ständiger versuch, ein prozeß der
loslösung.“
Trotz sich
häufender Behinderung seiner Arbeit lässt er sich 1983 in die
Leitung der Sektion Malerei-Graphik des Leipziger Verbandes Bildender
Künstler wählen. Noch ist die Ambivalenz da: Sichere
Aufträge verführen, gleichzeitig revoltiert er gegen die
Einschränkung künstlerischer Kreativität durch
staatliche Kontrolle und Verbote, gegen Hermetik und Eingesperrtsein in
der DDR. Mit den befreundeten Malern Lutz Dammbeck, Olaf Wegewitz,
Günther Huniat, Frieder Heinze und Günter Firit, „junge
Wilde“ der DDR, versucht er, durch Kunstaktionen und Künstlerfeste
auffällig, widerspenstig zu sein. Es entstehen kleine Zeitungen,
Aktionen, Unterschriftensammlungen gegen die ungleiche Reisepolitik zu
Ausstellungen in den Westen, es entstehen multi-mediale Projekte und
Konzepte, die an der Zensur scheitern. Sie münden in den
legendären „1. Leipziger Herbstsalon“ 1984 – auf den kein zweiter
folgen wird – eine halblegale Ausstellung im
Messehaus am Leipziger Markt. Grimmling und seine Freunde wollen die
Grenzen ausloten, die eigene Kunst zeigen, unabhängig von allen
staatlichen Reglements.
Sie wollen zeigen, daß andere künstlerische Formsprachen in
der
DDR existieren als die offiziell geförderte und propagierte.
Vielleicht
ist es auch ein Test, ob ein Bleiben in der DDR noch möglich ist.
Installationen,
Skulpturen, Objekte, Bilder werden mit dem Auto eines
Schrotthändlers aus den Ateliers in das Messehaus gefahren. Weil
dort keine Nägel in die Wände geschlagen werden dürfen,
improvisieren die sechs: sie spannen Seile, bringen Schellen an,
stellen die Bilder gegeneinander, legen sie auf den Boden.
„Erfrischender Umgang mit Farbe und Material. Weiter so!“, schreibt
jemand in das Gästebuch. Ein anderer: „Die Zugluft des Salons ist
aufregend wie ein Wind vom Weltmeer. Ich bin erfrischt.“ An die
zehntausend Neugierige aus der ganzen DDR reisen an, um den
„Herbstsalon“ zu besichtigen. Sie sind nur durch Mundpropaganda
informiert: Plakate
oder Ankündigungen dürfen nirgends erscheinen.
Die Ausstellung wird
ein riesiger Erfolg.
Für den geheim
geplanten „Herbstsalon“ hatten die Maler eigenmächtig mit dem
Messeamt einen Vertrag über die Ausstellungsräume
abgeschlossen und so den Eindruck erweckt, sie handelten im Auftrag des
Verbandes Bildender Künstler. Ein Trick. Die einzige Chance, das
Monopol der Kulturbürokratie zu unterlaufen. Eine gigantische
Kette setzt sich in Bewegung, um die
Ausstellung zu verhindern – bis hin zum Zentralkomitee der Partei in
Berlin.
Der „Herbstsalon“ darf nur stattfinden, weil die Funktionäre bei
Verbot einen „größeren politischen Schaden“ befürchten.
So steht es wörtlich in den Stasi-Akten. Im Jahr darauf wird sie
von
den Kulturfunktionären als „konterrevolutionäres Ereignis“
abgestempelt.
Die Staatssicherheit
eröffnet den operativen Vorgang „Salon“,
trägt belastendes Material zusammen und konstruiert bedrohliche
Anklagen.
Grimmling wird als ein Hauptverdächtiger eingeschätzt. Ihm
werden
die Paragraphen 99 und 219 des DDR-Strafgesetzbuches zur Last gelegt:
„Ungesetzliche Verbindungsaufnahme“ – Freiheitsstrafe bis zu drei
Jahren.
Und: „Landesverräterischer Treubruch“, Absatz 1) Freiheitsstrafe
von zwei bis zehn Jahren,
Absatz 2) in besonders
schweren Fällen lebenslängliche Freiheitsstrafe oder
Todesstrafe.
Gut, daß der
Künstler dies erst nach dem Mauerfall bei der Lektüre seiner
Stasi-Akten erfährt. Die Konsequenz auf offen gezeigte Drohungen
und Einschüchterungen ist, daß drei Maler des „Herbstsalons“
die DDR verlassen. Einer von ihnen ist Grimmling. Noch Ende 1984 stellt
er einen Ausreiseantrag. Ein gutes Jahr später kann er mit seiner
Familie nach West-Berlin ausreisen.
Er fühlt
sich wie ein nasser Vogel, der in die Mauer fällt, den neuen Ort
des Bleibens, nicht wie ein Schwebender, der die Ferne
sucht. Seine Bilder „die vögel über berlin“,
„das kalte herz“ und „der große und der kleine
klaus“ beschreiben die Selbstbefindlichkeit
jener Jahre.
„Das weggehen … aus
einem land voll zwietracht
und lethargie in das biotop westberlin bedeutete äußerste
anspannung
und verlust, risiko und gewinn. gute freundschaften waren schwer
belastet, gewachsene beziehungen wurden bis zur verleugnung
strapaziert, zerreißproben eigener verwurzelung bis hin zur ver-
drängungssucht mussten ausgehalten werden. aber es war auch der
gewinn, sich einer selbsthuldigenden ‚kulturistischen’ nomenklatur
entzogen zu haben, sich einer gleichmachenden vereinnahmung nicht
verfügbar gemacht zu haben, auch nicht als opfer.“
Er holt das Reisen
nach: New York, Madrid, London, Neapel, Paris, Amsterdam, Chicago,
Orte, an denen er endlich die lange ersehnten Originale vieler neuer
Vorbilder sehen kann. Der Inselstadt West-Berlin trauert er später
nach. Schönheit und Hässlichkeit waren für ihn zu
Mauerzeiten schärfer wahrnehmbar als heute.
Es entstehen
großformatige Bildzyklen gegen den westlichen
Überfluß, mit Titeln wie „die teller sind zu voll“ oder
„kadewe-bilder“. Er hat große Ausstellungen im In- und
Ausland, beteiligt sich nach 1989 an den deutsch-deutschen
Kunstdebatten und reagiert darauf mit seinen „fusionsbildern“, mit
Variationen von „porta germanica“ und „salto germanico“, die die nicht
bewältigte deutsche Vergangenheit zum Thema haben. Weil er
häufig in den Farben Schwarz, Rot und Goldgelb malt, wird
Grimmling auch als
„Maler des geteilten Deutschland“ gesehen. „Im Meer der langen Zeit
sind die vielen Weggeher, Weggedrängten aus der DDR Spurenleger
der
friedlichen Revolution von 1989. Sie haben zum Zusammenbruch des Landes
beigetragen, indem sie ihm ihre Energie entzogen haben.“
Heimat ist ein Zustand,
an Grün zu denken, sagt der Maler. Von seinen Bildern ist es
verschwunden. Es verschwand mit der menschlichen Figur,
und diese verschwand mit dem Flügel. Nur manchmal kommt das
Grün
wieder, zaghaft und unsicher. Blau, Gelb, Weiß, Rot sind die
vorherrschenden Farben auf seinen Bildern – und über allem das
dominierende Schwarz. Klar, kraftvoll, dramatisch. Ohne Zögern. „Wenn ich schwarz male, habe ich nicht
unbedingt Kohle, Teer oder Grube im Kopf, aber ‚dunkel‛
und ‚unten‛.“ Er
empfindet Schwarz nicht als düster, sondern
eher wie ein intensives Rot.
Grimmling, der
seit 2001 Kunst an der Berliner Technischen Kunstschule, in der
Computer-Designer ausgebildet werden, lehrt, verbringt jede freie
Stunde in seinem Atelier.
Es ist sein
Zufluchtsort, der Ort der Besinnung.
Auf dem Boden liegen
grundierte Leinwände herum.
„Die Leinwand muß zunächst Biologie bekommen, Zustand von
mir. Feuchtigkeit, Struktur, Chaos im Liegen“, sagt der Maler. „Erst wenn das Bild in die Vertikale will,
behauptet es schon eine Idee“.
Nach wie vor ist seine
Kunst vom Denken in formstarken Metaphern bestimmt. Den Zeitgeist
beschreibt er mit mythologischen Stoffen und Bildsymbolen. Sie werfen
immer wieder die Frage des Gehens und Bleibens auf, wobei das Schwarz
das Tragende, das Schiff ist, auf dem er gleitet. „Die Melancholie des Schwarz habe ich im
Laufe der Zeit immer mehr als Feierlichkeit begriffen und seine
vermeintliche Traurigkeit oder Trauer eher als elegische Kraft“, sagt er. „Mir wurde klar, daß das Schwarz
im Bild für mich Form bedeutet, daß ich es beim Bildermachen
als Konstruktion, als
Rhythmisierung, als Ordnung gebrauche und brauche.“ Und: „Alle
bisherigen Kompensationen von ungelöstem Leben, die mit dem Eros
zu
tun haben, bringe ich in Verbindung mit Schwarz.“
In den letzten Jahren
ist sich Grimmling seiner Kraft für Tektonik und Rhythmik
bewusster geworden. Seine Bilderfindungen entwickeln sich nicht aus
Motiven, die durch Farbe und Licht beschrieben sind, sondern eher aus
skulptural wirkenden senkrechten und horizontalen Formen. Kraftfelder
arbeiten gegeneinander, Aggression und Angriffslust stehen gegen
Introvertiertheit und Schutzbedürfnis. Sein Ungenügen an der
Zeit, an sich selbst, ist geblieben: Der Käfig ist offen, das
Draußen nur ein größerer Käfig, der Vogel bleibt
gestutzt. Ein zentrales, aus der Bildschlüssigkeit gewachsenes
Symbol seiner Malerei ist das „Kreuz“.
Es entstand aus dem
schwarzen Band, das verhinderte, den rot-goldenen Gordischen Knoten zu
lösen.
„Das Kreuz ist das
weiteste Zeichen von Ordnung und Halt. Ich glaube, das Kreuz ist die
Grundstruktur in unserem Leib.
Das Kreuz hält uns. Ich meine das nicht ideologisch. Der
Körper,
die innere Stabilität, ist auf das Kreuz aufgebaut. Auf die
Senkrechte und die Waagerechte, die nicht nur zu 90 Grad winklig sind,
sondern sich dadurch beschreiben, daß sie sich kreuzen. Der
Mensch ist so gebaut, wie er gebaut ist. Sobald er die Arme hebt,
ersehnt er nicht die Kreuzigung, sondern stellt sich selbst am Kreuz
dar. Unsere Bewegungen, selbst unsere stillen Kommunikationen, sind
räumliche Drehungen, Kippungen, winklige Verzerrungen des Kreuzes.
Wir bieten immer das Kreuz an, nämlich uns selbst.“
Im Argonauten-Zyklus,
an dem er seit einem Jahr arbeitet, ist das „Kreuz“ vom „Segel“
ersetzt. Der Künstler spielt mit der weißen Dreiecksform, um
Weite in das Bild zu projizieren. Seine argonautischen Metaphern
illustrieren nicht die Seereise griechischer Helden auf der „Argo“.
Grimmlings Argonaut ist ein Einzelner, Einsamer, die Suche nach dem
Goldenen Vlies geistiges Abenteuer. Seine kompositorischen Entdeckungen
sind sein Land „Kolchis“.
„Das Argonautische, das
Beschreiben des Weg-Wollens, setzt den Gedanken des Flügels am
Menschenleib und des Drängens von Gold und Rot gegen die schwarze
Verschnürung fort. Das Argonautische, das Nomadische im Geiste,
ist die Beweglichkeit auf der Suche nach dem Sinn des Seins. Kunst
ist immer ein Wegfahren in eine Distanz
zur Gegenwart“, sagt er. „Sie lebt von der Hoffnung, dieses
Sich-Wegbewegen bekäme den Sinn eines klareren Blicks auf den Ort
des Bleibens.“ Der immer
wieder neue Aufbruch in die Imaginationen der Kunst, das Sich-Entfernen
vom Festland des Alltags ist für Grimmling Konzept. Es ist
für ihn der schönste Zustand: zu malen.
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